Freitag, 4. November 2011

"demokratie ist scheisse"

aber nein, das hat niemand gesagt. nur meint man es, unbewusst. schliesslich merken manche, dass eine abstimmung allein folgende dinge nicht kann: die schwerkraft aufheben, das wetter beeinflussen und schulden verschwinden lassen. aber für was brauchen wir dann die demokratie überhaupt?

und so stellt die faz gleich mehrfach die sinnfrage. erst der herr herausgeber himself, frank schirrmacher, mit seinem "demokratie ist ramsch", tagsdrauf sekundiert vom chefphilosophen schlechthin, jürgen habermas, mit seiner ganz persönlichen verschwörungstheorie "rettet die würde [sic!] der demokratie".

beiden artikeln ist gemein, dass sie einen "machtkampf" zwischen "den märkten" und "der politik" postulieren, den nun offenbar die politik (und damit "die demokratie") verloren habe. und gemein ist den artikeln auch, dass sie von zwei offensichtlich völlig ahnungslosen geschrieben wurden.

erstens gibt es "die märkte" als gegenspieler "der politik" nicht. "die märkte", das sind wir, sie, ich, die anderen, der supermarkt an der ecke, der handwerker, ihr rentenversicherungsträger, der taxifahrer, die sparkasse, der hedgefond, der minenarbeiter und der minenbesitzer, der millionär in rio und der bettler in kalkutta. insgesamt ca. 7.000.000.000 marktteilnehmer, atomisiert in globale massenmärkte, regionale märkte, nischenmärkte. und jeder von uns ist teilnehmer in zig märkten. ob wir es nun wollen oder nicht.

wenn also der hochdekorierte philosoph "die märkte" in anführungzeichen setzt, dann nur, um sie als eigenständige entität isolieren zu können, damit sie als feindbild, als pappkamerad einen bestimmten zweck erfüllen können: nämlich davon abzulenken, wer das eigentlich problem in dieser weltgeschichtlichen situation ist.

und so ist es kein wunder, dass ausgerechnet die politiker (und zwar aller coleur) auf "die märkte" (wahlweise auch "die banken", "die finanzindustrie", "den kapitalismus") deuten und laut rufen: "haltet den dieb".

denn es sind die politiker, die seit 40 jahren kontinuierlich schulden anhäufen. sie machen diese schulden, um das volk zu beschenken. um sich damit die wählergunst zu erkaufen. um nichts anderes geht es hier: schulden machen, weil ich sonst nichts zu verteilen habe und ich dann abgewählt werde. zahlen werden das - später - andere!

aber an der erkenntnis, dass dieser staat (und damit seine bürger, vertreten durch die politiker) viel zu lange, viel zu stark über die eigentlichen verhältnisse gelebt hat, kommt man irgendwann nicht mehr vorbei. sparen? ja, aber nicht bei mir. mehr steuern: nicht bei mir! und so geht es uns allen.

es zeigt sich inzwischen, welchen geburtsfehler diese demokratie hat: fehlende verantwortlichkeit und haftungsregeln. das, was man "den bankern" immer (zu recht!) vorgeworfen hat - nämlich fette boni einzustreichen für geschäfte, die irgendwann einmal, wenn die banker mit ihren boni längst über alle berge (oder beim wettbewerb) sind, verluste einfahren - haben unsere politiker selbst nur allzu gern angewendet.

natürlich bringt der verweis auf "die märkte" etwas entlastung und vllt sogar ein paar tage oder wochen zeitgewinn. aber was passiert mit "der demokratie", wenn sich herausstellt, dass es "die politik" war, die den wirtschaftlichen (und damit auch politischen) ruin europas verursacht hat? da liegt der eigentliche kern des problems für die demokratie. wer soll politik machen, wenn nicht die, die es seit 40 jahren machen?

dass in der FAZ auch richtig schlaue philosophen schreiben, zeigt dieser artikel (und warum wundert es mich nicht, dass dieser theologie und philosophie professor schweizer ist?)...

p.s. weil es habermas erwähnt hat: die staaten (bzw die demokratie) sind deshalb pleite, weil sie also 2008 die banken gerettet haben. fragt sich nur: mit was denn?? mit geld? welches geld? geld etwa, das sich die staaten von den banken geliehen haben, um es dann den banken zu geben, weil die pleite sind, weil sie den staaten das geld geliehen haben, das sie nun zurück bekommen. wobei nun die staaten ihre schulden nicht mehr zurückzahlen können, womit die banken pleite gehen?

1 Kommentar:

Nils die Maus hat gesagt…

Frank Schirrmacher sagt aber schon von sich aus, dass er sich eher in der Politikkultur zuhause fühlt, als in der wirklichen Politik. Deshalb ist er ja auch Leiter des Feuilletons und Mitherausgeber der FAZ. Ich würde da gerne auf den Podcast mit Schirrmacher, Rieger und Fefe verweisen http://alternativlos.org/20/

Tscha, und nu?