Dienstag, 21. September 2010

„Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“

nils minkmar in der FAZ zu sarazin und dem sein buch (mit willi brandt zitat!)...

Es war spät, und ich war noch müde vom Flug. Mir fiel keine originelle Frage ein. Ich fragte also, ob solche Erkenntnisse dazu führten, dass die Zahl der ostafrikanischen Migranten reduziert würde?

Es entstand eine peinliche Pause. Dann sammelten sich die freundlichen Kanadier und erklärten mir, bei ihnen dürfe der Staat Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Rasse diskriminieren. In Deutschland sehe man das vielleicht anders, sagten sie in meine Richtung, erkennbar angewidert.


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Ganz übersehen wird von vielen, die Sarrazin heute feiern, sein geradezu linksradikales Programm zum Umbau unseres Bildungssystems. Er fordert nicht nur staatliche Hausbesuche nach der Geburt, um die Mütter in Ernährungsfragen und Kinderpflege anzuleiten. Er möchte anschließend eine Kitapflicht, die grundsätzlich auf Ganztagsbetreuung ausgerichtet sein soll. Nach einigen Jahren käme das Kind in die Grundschule, auch sie eine Ganztagsschule. Dort gäbe es keinen Fernseher, und alle trügen Uniform. Und dann immer so weiter: „Zumindest für die größeren Kinder muss die Ganztagsschule so aufgebaut sein, dass sie zu Hause neben dem Wochenende nur den Feierabend verbringen.“

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Die leitmotivische Frage des Buches ist: „Warum können nicht alle so sein wie ich?“ Und sie stellt sich dort am schärfsten, wo Sarrazin sich der „muslimischen Migration“ zuwendet. Dabei verschwimmen ihm alle Kategorien. Er unterscheidet nicht zwischen türkischen Arbeitern in Berlin, die ja auch durch die Desindustrialisierung und völlig schuldlos in Schwierigkeiten geraten sind und von denen sich einige erst in späteren Lebensjahren dem Glauben zugewendet haben. Sie kamen ja nicht als muslimische Missionare hierher, sondern als Industriearbeiter. Er meint damit auch Flüchtlinge aus Iran, die vielleicht vor zu viel Religion geflohen sind. Und er meint Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, die mit ihrer Flucht nach Deutschland ein Menschenrecht realisieren, das zu verteidigen das Grundgesetz und die UN-Charta verpflichten. Und zwar unabhängig davon, ob die Kinder solch teilweise schwer traumatisierter Flüchtlinge weniger oft Ingenieure werden als die Kinder von Finnen. Aber auch die Begriffe geraten ihm durcheinander: So schreibt er öfter von „Migranten der zweiten Generation“, obwohl doch nur eine Generation gewandert ist, die der Eltern. Die zweite Generation ist nirgendwohin migriert, sondern hier geboren. Da er diese Leute weder besonders gut kennt, noch, wenn man richtig liest, besonders gerne mag, weiß er eigentlich nichts darüber, welche Probleme sich in den Familien, Straßen und Quartieren so ergeben.

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