Freitag, 24. September 2010

als persische jude an einer berliner schule

es kann sich jeder vorstellen, dass das kein zuckerschlecken ist, aber aus erster hand gelesen ist es in jedem fall einprägsam.

deshalb wird der aufruf zur weiterverbreitung einer buchbesprechung unterstützt...


Arye Sharuz Shalicar: "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude". Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. Mit einem Vorwort von Richard C. Schneider. dtv-Verlag, München 2010, 240 Seiten, 14,90 Euro

Im Sommer fliegt die Familie nach Israel, wo Verwandte leben, auch die beiden Großmütter. Sie schenken ihrem Enkel, ehe er nach Berlin zurückkehrt, ein goldenes Kettchen mit einem Davidstern-Anhänger und denken nichts Arges dabei. Der sechseckige Stern ist heute ein so alltägliches Symbol, dass es außerhalb ihrer Vorstellbarkeit liegt, er könnte in einem demokratischen, westlichen Land wie der Bundesrepublik Ärgernis erregen. Arye trägt den Davidstern-Anhänger, als er im Herbst wieder in seine Berliner Schule geht. Auch er denkt sich nichts dabei, tragen doch viele Jungs in seiner Klasse goldene Ketten mit Anhängern, sein türkischer Banknachbar zum Beispiel ein goldenes Schwert. Vergebens versucht Aryes Vater seinen Sohn zu überreden, den Davidstern unter dem T-Shirt zu verbergen. Der Sohn hält sich nicht daran. Damit beginnt sein Martyrium, das Martyrium eines Juden im heutigen Deutschland.

Denn Aryes Berliner Schule hat einen großen Anteil muslimischer Schüler. Bisher haben sie Arye für einen der Ihren gehalten, weil er aus dem Iran stammt und Persisch spricht. Weil er das Kind von Migranten in Deutschland ist wie sie. "Als schwarzhaariger, dunkeläugiger, dunkelhäutiger Junge orientalischen Ursprungs war ich akzeptiert. Fast alle um mich herum sahen genauso aus." Der Traum von der Gemeinsamkeit platzt, als er den sechseckigen Stern zeigt, das Geschenk seiner Großmutter. Damit hat er freiwillig getan, was die deutschen Juden in der NS-Zeit per Dekret tun mussten: sich äußerlich als Jude gekennzeichnet. Er ist fortan in den Straßen um den Bahnhof Gesundbrunnen, Jahrzehnte nach Hitler, mitten in einer Gesellschaft, die ihre Vergangenheit bewältigt, aus ihren Fehlern gelernt zu haben erklärt, zur Verfolgung freigegeben, ein Gezeichneter, ein Opfer.

Auch in diesen Kapiteln bewahrt Arye Shalicars Buch seinen kühlen, leidenschaftslosen, hintergründig humoristischen Ton. Er beschreibt genau, wie man ihn gemobbt, erniedrigt, misshandelt hat. "Bisher hatte ich zur Mehrheit gehört", schreibt er, "jetzt war ich zur Minderheit der Christen bzw. Nicht-Muslime verstoßen". Die Jungen in seiner Klasse sprechen nicht mehr mit ihm. Auf der Straße tritt ihm ein junger Türke, der bisher Fußball mit ihm gespielt hat, in den Weg und droht: "Jude, ich will dich hier nie wieder sehen. Wenn ich dich das nächste Mal sehe, wird es dir schlecht ergehen." Das Absurde an diesen Mitteilungen ist, dass sie in deutscher Sprache erfolgen, der einzigen Sprache, die all diesen Einwanderer-Kindern halbwegs gemeinsam ist.

Es ist ein buntes Völkergemisch: Türken, Libanesen, Araber, Perser, Kurden. Untereinander gibt es ethnische Spannungen, Hass und Rivalitäten, aber nach außen, gegen Christen und Deutsche, auch gegen Arye, den jüdischen Paria, eint sie die große Gemeinsamkeit, Muslime zu sein. Wer die Geschichte des Islam auch nur ungefähr kennt, weiß, wie wenig diese Gemeinsamkeit trägt. Bis heute ist der Mittlere Osten zerrissen von den Kämpfen und Kriegen zwischen Schiiten und Sunniten, Arabern, Persern, Türken, Kurden. Doch hier, im Berliner Migranten-Biotop, scheint der Koran einigende Kraft zu besitzen.

Aus seiner bedrängten Lage wurde Arye durch einen arabischen Kurden befreit, den sein Judesein nicht interessierte, der ihm Protektion durch seinen mächtigen Clan anbot. Allerdings um den Preis, dass Arye Mitglied seiner Straßenbande wurde. "Ich hatte die Wahl, mitzumachen oder ein Opfer zu sein", sagte Arye, als wir dieser Tage in Jerusalem darüber sprachen. "In Berlin wäre ich heute entweder kriminell oder tot." Arye wurde verhaftet, wäre fast ins Gefängnis gekommen, doch man hielt ihm zugute, dass er zur Bundeswehr gehen wollte. Dort, unter Deutschen, hat er keinerlei Verfolgung mehr erlebt.

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