Dienstag, 29. September 2009

Dieses Buch gehört in die Schulen, nicht ins Feuilleton

ein schöner verriss...

Die Geschichte aber, die Martin Kesici und Markus Grimm erzählen, klingt etwas anders, und für all jene, die sich flüchtig an diese Namen erinnern können, ist das nicht einmal besonders überraschend: 2003 gewann Kesici als weichgespülter Hardrocker die Sat.1-Castingshow „Starsearch“, ein Jahr später wurde Grimm in die Gruppe Nu Pagadi gewählt, die sich Pro Sieben für die vierte Staffel der Sendung „Popstars“ ausgedacht hatte, eine groteske Dark-Rock-Band, die die Felle von Dschingis Khan auftragen musste. Dass ihr Sieg eher das Ende einer kurzen Fernsehkarriere markierte als den Anfang einer erfolgreichen Laufbahn als Musiker, das war schon damals für die meisten Zuschauer erwartbar. Rein musikalisch war es sogar durchaus beruhigend – was es nicht leichter macht, Mitleid zu mobilisieren für das traurige Schicksal, von dem die beiden nun in ihrem Buch „Sex, Drugs & Castingshows“ erzählen.

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Man könnte sich also sehr leicht darüber lustig machen, dass es die beiden Autoren überhaupt für einen Skandal halten, dass die Produzenten und die Plattenfirmen die Versprechen nicht eingehalten haben, welche sie ihnen leichtfertig abgenommen hatten; dass ihre Hoffnung auf Ruhm und Erfolg sich nicht erfüllte oder einfach nur der Wunsch auf eine faire Behandlung. Der Blick auf diese Naivität aber ist eine Offenbarung. Wenn es nicht einmal die Kandidaten, die am tiefsten gefallen sind, weil sie am höchsten standen, bis heute geschafft haben, sich vollständig von ihren Illusionen zu verabschieden; wenn selbst die Gewinner einer solchen Show zu deren Verlierern zählen – dann zeigt das, dass Häme und Ironie auch nicht viel helfen gegen die Nachhaltigkeit der Faszination, die eine mittlerweile zur Jugendkultur gewordene Ausbeutungsindustrie ungebrochen ausübt. So wenig Stoff dieses Buch bietet, dem grundsätzlich skandalösen Genre sein verbrecherisches Wesen konkret nachzuweisen, so sehr muss man es all jenen nahebringen, die noch immer glauben, das Fernsehen könne ihnen einen Traum erfüllen. Dieses Buch gehört in die Schulen, nicht ins Feuilleton.

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Man merkt ja kaum noch, wie ungeheuerlich schon der Gestus ist, mit dem das Buch daherkommt: Der Klappentext bemüht das komplette Vokabular jener Insiderberichte, die man sonst von Sektenaussteigern oder abtrünnigen Geheimdienstlern kennt.

Man muss nicht unnötig die siebziger Jahre heraufbeschwören, aber es hilft, sich nur einmal kurz vorzustellen, wie kurios es gewirkt hätte, wenn damals ein Gewinner von „Am laufenden Band“ „ausgepackt“ hätte oder ein Kandidat von „Was bin ich“.

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Die Mitglieder von Nu Pagadi wehrten sich erfolgreich gegen ein Stück, das sich die Plattenfirma ausgedacht hatte, „eine Mischung aus Abba und Rammstein“ mit dem erbaulichen Titel „Wer ficken will, muss freundlich sein“. Und der modisch beratungsresistente Kesici verschenkte die Bühnenoutfits, die er tragen sollte, lieber an seine Freunde.

Dass das Buch doch ein paar Passagen bereithält, die auch abgebrühtere Medienkritiker noch erregen können, liegt vor allem daran, dass die unappetitliche Zusammenarbeit der Sender mit der Boulevardpresse noch reibungsloser funktioniert, als man es befürchtet hatte: Da weiß auf einmal ein Reporter der „Bild“-Zeitung von der Drogenvergangenheit, die Kesici kurz vorher der Produktionsleitung gebeichtet hatte. Da holt, eines Abends, während der Dreharbeiten zu „Star Search“, eine Limousine Kesici und seinen Halbfinalgegner Thomas Wohlfahrt vor dem Hotel ab, drinnen warten Champagner, ein Kamerateam des Sat.1-Boulevardmagazins „Blitz“ und ein Fotograf der „Bild“-Zeitung. Man habe, erklärt der Fernsehredakteur, einen „Entspannungsabend“ vorbereitet, und weil der Kollege von „Bild“ bis zum Ende mitfeiert, finden die beiden am nächsten Tag ihre Gesichter neben den Hintern diverser Nackttänzerinnen auf der Titelseite wieder, unter der freundlichen Zeile „Hasch-Martin und Sexferkel Thomas unterwegs“. Teilnehmende Beobachtung heißt das in der Ethnologie.
Wurde bei “Bild“ zu “Hasch-Martin“: Martin Kesici

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Grimm ist eindeutig die tragischere Figur. Seine Enttäuschung mündet gelegentlich in existentielle Selbstzweifel: „Manchmal denke ich“, schreibt er, „dass ich ein Avatar bin, eine Spielfigur der Sims, die ungeliebte Puppe aus der Augsburger Puppenkiste, die man an den eigenen Fäden erhängt hat.“ Und er wünscht sich, alles wäre nicht passiert: „Keine TV-Typen, die mich vom Nobody zum No-Nobody machten, keine Kälte und Arroganz von all denen, die es geschafft haben und mich belächeln, keine Zweifel an mir selbst, keine Angst vor dem Morgen, der schon gestern vorbei war.“

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